Teil II: Zwischen den Zeilen bei… Das Lavendelzimmer

(© Nina George)
1.
Woher stammt die Idee der literarischen Apotheke, die sich auf einem kleinen
Kutter befindet?
Ich
habe vor einigen Jahren, vor meiner Heirat, festgestellt, dass Krimis und
Abenteuer-Fantasy (ohne dieses Liebesgedöns) ein unglaublich effektives
Heilmittel gegen Liebes-kummer sind. Dann habe ich nach weiteren Büchern
gesucht, die bestimmte Leiden mildern oder eine Antwort auf stumme Fragen sind.
Als ich 2012 von Kästner las, der in den Dreißiger Jahren eine „Lyrische
Hausapotheke“ erdachte, mit Versen zu allerlei Gemüts-zuständen, fügten sich
die Dinge zusammen. Außerdem hatte ich lange gegrübelt, welchen Beruf Jean Perdu
ausüben soll. Er war in der Vorplanung schon mal Klavierstimmer,
Restauranttester und Hotelconcierge. Und während ich schon am Roman „baute“,
veränderte sich Perdus Buchladen immer wieder, bis er letztlich auf die
flämische Penische „Lulu“ zog und zur schwimmenden „pharmacie litteraire“
wurde.
2. Im Buch heißt es in
Bezug auf E-Book-Lesegeräte „…waren diese Geräte die Erfindung des
Jahrhunderts. Für Buchhändler ein weiterer Sargnagel.“ Was halten Sie von
E-Books?
Ich
mag E-Books. Sie vereinen viele Vorteile – Platzsparend, transportierbar, große
Auswahl, Suchfunktion, „Markierungen“ mit anderen Lesern teilen und
austauschen, Größeneinstellung der Buchstaben für Kursichtige… (wenn man denn
Platzsparend leben will oder seine Lieblingszitate mit anderen teilen. Ich
liebe meine Bücherwände, ich lebe in 3000 gedruckten Büchern und fühle mich
sehr wohl. Nur einen Tolino ins Regal zu stellen würde mich nicht befriedigen).
E-Books
spülen allerdings eine immense Zahl an neuen Sorgen mit sich. So ist das
luftige Trägermedium, das nur eine kleine verhuschte Minidatei darstellt, eine
perfide Einladung, den Inhalt und die Arbeit, die sich darin verbirgt, als
„luftig“, „klein“ und „unwichtig“ erscheinen zu lassen. Der inhaltliche,
moralische, haptische Wert des Buches reduziert sich auf die Technik, ihre
Instabilität und ihre Flexibilität. 800 KB, das benötigt nicht mal eine
Sekunde, um kopiert, zerstört oder gestreamt zu werden. Niemand muss zu
Ladenöffnungszeiten ein Buch kaufen oder gar warten, bis es geliefert wird. Keiner
muss sich mit einem Buchhändler streiten, ob er wirklich der richtig Partner
für das Buch ist . Jeder kann zu jeder Zeit eine winzige Datei umher schieben.
Dadurch verändert sich das Image des Buches und damit des Inhaltes. Und auch,
wie die Arbeit der daran Beteiligten, wert geschätzt wird. Nämlich geringer.
Niemand
würde gedankenlos in Buchläden Romane stehlen. Im Internet aber ist so eine
kleine Datei ein Fliegenschiss, rasch geklaut, sieht ja keiner, kann doch nicht
so schlimm sein.
Doch.
So mancher Verlag und AutorIn hat durch E-Book-Piraterie bereits dreißig
Prozent Umsatzverlust. Auch der Buchhändler, an dem das E-Book vorbei gereicht
wird. Auch ich. Im letzten Quartal 2012 etwa wurde eines meiner
Anne-West-Bücher 20.000mal auf den drei illegalen Portalen, die ich beobachte,
herunter geladen, gestreamt oder getauscht. Gekauft wurde es legal 120 mal.
Wenn nur jeder zehnte oder zwanzigste der Diebe seine sechs Euro für das Buch
gezahlt hätte, und ich davon meine 97 Cent Tantiemen erhielte, wären das knapp
1000 bis 2000 Euro. Die fehlen mir, garantiert, in jedem Quartal, Tendenz
steigend. Ich verzichte also jetzt schon auf 4000 Euro im Jahr, weil es Leute
gibt, die grundsätzlich nie für E-Books, Songs oder Filme im Web zahlen wollen.
Das schadet all jenen, die natürlich für Leistung zahlen; nicht umsonst
beschweren sich LeserInnen zu Recht: „Mit dem Kopierschutz auf Ebooks wird uns
indirekt vorgeworfen, dass wir alle illegale Sauger sind.“ Ich weiß dagegen,
dass es nur eine kleine Gruppe ist, die uns Autoren aussaugt, als seien wir
Mindermenschen. Scheint eine Frage der mangelnden Empathie und des schwachen
sozialen Empfindens zu sein, der da fehlt.
Diese
Fliegenschissmentalität – ist doch nur so ’ne lütte Datei, tut doch keinem weh
wenn ich die mal auf Platte lade – äußert sich auch in politischen
Absurditäten. Wie den Vorschlägen der Netzpolitiker, die z.B. Ebookpiraterien
UND jeden Kauf von digitalisierten Werken im Web mit einer Flatrate abdecken
wollen. Mal abgesehen davon, dass damit das Einkommen jedes Berufsschreibers,
-komponisten, -filmemachers – fotografen, -Softwareentwicklers… kollektiv für
immer vermindert UND gleichzeitig gedeckelt wird, zeigt die KF deutlich, wie
gering die Arbeit der etwa 5-10 Beteiligten pro Buch, geschätzt wird. Stellen
Sie sich mal vor, Ihr Lohn würde gekürzt, es gäbe keine
Beförderungsperspektive, und Überstunden natürlich auch nicht bezahlt. Sie
wären vermutlich nicht sehr glücklich damit.
Wir
Berufskreative liefern das Benzin, mit denen heutzutage die Maschinen laufen –
Tablets, Handys, Google. Ohne Songs, Filme, Texte, Fotos, Games, wären alle
diese teuren Geräte nur elektronische Luxusgüter fürs Online-Shopping. Schon
die normalmenschliche Fairness gebietet, die Inhaltsbesorger gerecht zu
entlohnen, anstatt nur die Gerätehersteller und W-LAN-Betreiber.
Kurz:
Das Ebook selbst ist fantastisch, sexy und anregend. Es ist ein neues
Trägermedium für „Geschichten erzählen“. Kein Grund, sich darüber zu mokieren;
als nächstes kommt vielleicht oder Gefühlsimplantate, wer weiß.
Es
ermöglicht Lesenden neue Genussmöglichkeiten (hey, die Reader leuchten im
Dunkeln! Man kann unter der Decke lesen ohne Taschenlampe!), und
Nachwuchsautorinnen neue (Selbst)Publikationsmöglichkeiten. Diese fallen nicht
mehr in die Hände der Pseudoverlage und Vanity-Press
Druckkostenzuschuss-„Verlage“, die so tun als sei es Usus, dass AutorInnen
dafür bezahlen, gedruckt zu werden! Ist es nicht. Es ist ein dreckiges Geschäft
mit der Hoffnung, gegen das sich u.a. auch das „Fairlag“-Bündnis engagiert. Doch
drei Prozent der Newcomer fallen immer noch darauf rein, und schießen zwischen
800 und 20.000 Euro (!) in den Wind, um sich gedruckt zu sehen, aber nicht mal
im regulären Buchhandel verkauft zu werden! Diese Abzocker-DKZV haben mit dem
E-Book-Selfpublishing eine ernsthafte, wichtig, nötige und vor allem: extrem
kostengünstige Konkurrenz bekommen.
Auch
für etablierte AutorInnen sind E-Books ein anregendes Spielfeld. Mal eben eine
Anthologie von Kurzgeschichten heraus bringen? Oder die Backlist elektronisch
wieder auflegen (Wenn man das will – ich bin froh, dass meine Frühwerke den
Lesenden nicht mehr belästigen …). Oder um mit ambitionierten LeserInnen neue
Wege zu gehen: Wünsch-dir-was-interaktive-Romane, Mitschreibe-Geschichten,
Online-E-Book-Kurse… es gibt viele Möglichkeiten, die den bisherigen
Literaturbetrieb ergänzen werden. Nicht immer sind es gute Einkommensmodelle,
aber für die künstlerische Entwicklung spannend. Man muss sich allerdings
Experimente „leisten“ können, finanziell als auch von der Zeit. Ich hatte nie
so wenig Zeit wie in den bisher 17 Jahren meiner Selbständigkeit.

(© Nina George)
3.
Jean Perdu und seine Manon zelebrieren das Tangotanzen regelrecht. Teilen Sie
dieses Hobby mit den Romanhelden?
Nein.
Aber ich kenne einen Tanguero – Jac. Toes – der mich so intensiv instruiert
hat, dass ich zu fühlen lernte, was der Tango für eine Wahrheit besitzt.
4.
Der Roman ist auf charmante Weise unglaublich lebensklug. Woher stammen all die
„klugen Sätze“ und „philosophischen Auffassungen“ von der Welt und den Dingen?
Von
mir, gezwungenerweise.
Es
ist hilfreich, etwas länger gelebt zu haben, um Romane zu schreiben. All die
Einsichten, Erfahrungen, Widersprüche, Gedanken, die hat keiner mit 20 oder 30,
woher denn auch?
Meine
Buchfiguren geben auch mir jedes Mal die Gelegenheit auszudrücken, wie ich die
Welt sehe, verstehe, welche Dinge ich über Menschen erzählen will, und über
welche schweigen.
5.
Unter dem Pseudonym Anne West sind Sie für erotische Literatur bekannt. In „Das
Lavendelzimmer“ wird aber auf ausgeschmückte Erotikszenen verzichtet, obwohl
sie an der ein oder anderen Stelle hätten stehen können. Stattdessen schwingt
eine gewisse Erotik unterschwellig mit. Haben Sie ganz bewusst auf diese Szenen
verzichtet?
Erotik
ist ein Gewürz, keine Zutat, sofern es sich nicht um explizit erotische
Literatur handelt. Entsprechend „prisenhaft“ gehe ich damit um. Die sinnlichen,
körperlichen „Stellen“ im „Lavendelzimmer“ habe ich mit Bedacht so erzählt –
das Zögern, das Gehemmtsein, aber auch das Enthemmtsein – hat den Charakter
meiner Figuren ausgeleuchtet. Ich bin davon überzeugt, dass in Romanen, die
keine Erotika darstellen, jede Szene mit sexueller oder erotischer Konnotation
einen ganz präzisen Sinn erfüllen muss. Um einen Konflikt darzustellen. Um die
Schwächen einer Figur aufzudecken. Um ein Gefühlsleben in Handlung zu
übersetzen, was man nicht erklären kann, sondern nur in Handlungen zeigen.
Ansonsten
freue ich mich, dass Sie sagten, es schwinge eine gewisse Erotik (die ganze
Zeit) über mit. Das ist die Lebensspannung, die ich vermitteln wollte. Zu
Leben, wirklich im Leben zu sein, ist ein Ausdruck des Eros. Riechen. Essen.
Wind und Salzwasser auf der Haut spüren. Kochen. Lachen. Leben als solches ist
jenseits sexueller Zweisamkeit unglaublich sinnlich. Und Perdu muss diese
Sinnlichkeit wieder finden. Ich persönlich glaube daran, dass der Körper unsere
Emotionen viel stärker beherrscht, als wir es als ach so intellektuelle Wesen
zugeben wollen. Aber schon der Fahrtwind auf einem dahin gleitenden Flussschiff
kann für tiefstes Lebensglück sorgen.
6.
Der Roman erweckt den Eindruck, als sei für ihn eine aufwendige Recherche
notwendig gewesen. Wie aufwendig war diese wirklich? Haben Sie Jeans Reiseweg
vielleicht selbst einmal zurückgelegt?
Das
allerschönste an der Vorplanung für meine beiden letzten Romane, Die
Mondspielerin als auch Das Lavendelzimmer, war die vor-Ort-Recherche. Sie ist
Zeit- und Kostenintensiv, dafür spart man dann halt. Das ist neben der reinen
Schreibarbeit auch eine Investition, die zur Literatur wie ich sie erzählen
will, zwingend dazu gehört. Google Streetview oder ein Fotoband wird nie
ersetzen, was man selbst erkunden kann.
In
der Bretagne war ich zweimal über mehrere Wochen. In Paris für meinen Geschmack
zu kurz, und da vorwiegend in dem Marais-Viertel, das ich im Lavendelzimmer
beschreibe. In der Provence bin ich mit einem Kleinwagen und Mann 14 Tage lang
knapp 1300 Kilometer kreuz und quer durch die Gegend geheizt, auf der Suche
nach den Spielorten, die zu der Geschichte passen. Ich habe in dem Taubenschlag
in Bonnieux gelebt, in dem Blauen Zimmer in Sanary-sur-mer, habe in Les Lecques
Muscheln gegessen wo es auch Perdu auf seiner Reise tut, den Anleger in Avignon
gefunden, und mir die Kanäle angeschaut, über die die drei Suchenden von Paris
bis in den Süden fahren. Und im Vaucluse haben mein Mann und ich versehentlich
auch noch Ort und Figuren für unseren Katzen-, Provence- und de-Sade-Thriller
„Commissaire Mazan und die Erben des Marquis“ gefunden, den wir als „Jean
Bagnol“ zur Buchmesse vorstellen. Dieses Finden war ein Glücksgriff, der uns
nie geschehen wäre, wenn wir daheim auf dem Sofa darauf gewartet hätten, dass
die Musen uns mal küssen. Das tun sie nie – man muss raus und was wagen, um zu
schreiben.

(© Nina George)
An dieser Stelle möchte ich mich noch einmal ganz herzlich bei der lieben Nina bedanken, nicht nur für dieses tolle, eindrucksvolle Interview sondern auch für den unkomplizierten Kontakt. Am meisten aber danke ich ihr dafür, dass sie mich (und auch alle anderen) an ihren inspirierenden Gedanken hat teilhaben lassen.
Finde ich ja mal interessant und cool, dass eine Autorin ein Interview für einen Blog gibt :) und auch schön die Hintergedanken davon zu lesen.
AntwortenLöschenToller Post, sehr Interessantes Interview :)
AntwortenLöschenWow, finde ich sehr super, dass sie dir die Fragen beantwortet hat!
AntwortenLöschenMacht sie gleich sehr sympathisch.
LG Celly von [a href="http://idatebooks.blogspot.de"] I date books [/a]
Freut mich, dass euch das Interview gefällt! Es ist in der Tat sehr spannend...
AntwortenLöschenInteressantes Interview, ich mag Ihren Schreibstil. Vielleicht sollte ich auch mal ein Buch von ihr lesen :)
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